Schiele
Die Familie stammt aus dem Fürstentum Reuß (heute Thüringen). Als Erster siedelte sich Ende des 18. Jahrhunderts der Kutschenfabrikant Burghardt Schiele in Warschau an. Sein Sohn Konstanty Schiele erwarb mit Błażej Haberbusch 1846 von der Bank Polski eine kleine Brauerei an der Ecke Krochmalna/Ciepła-Straße. Gemeinsam mit dem Schwiegervater Henryk Klawe gründeten sie die Brauerei „Haberbusch, Schiele und Klawe”. 1883 übertrug Konstanty Schiele die eigenen Anteile seinen sechs Kindern Eleonore, Adolf, Feliks, Kazimierz, Karol und Jadwiga, doch nur Feliks und Kazimierz (1860–1931) setzten sich tatkräftig für die Firma ein. 1921 kam es nach langwierigen Verhandlungen zu einer großen Fusion, einer der größten auf dem polnischen Markt der Zwischenkriegszeit. Durch den Zusammenschluss von vier Lokalbrauereien entstand eine der stärksten Bierbrauereien des damaligen Europas: die Aktiengesellschaft Vereinigte Brauereien Haberbusch und Schiele. Sie besaß einige Dutzend Grundstücke und Restaurants in der polnischen Hauptstadt, darunter die Betriebe im Stadtteil Wola im Straßenblock zwischen Grzybowska-, Wronia-, Chłodna- und Żelazna-Straße. Zudem verfügte sie über Immobilien in Białystok, Kalisz und Lodz, 30 eigene Eisenbahnkühlwaggons, 25 Lastwagen und ca. 100 Pferde.
1939 spendete die Brauerei vier schwere Maschinengewehre für ein Warschauer Regiment. Im Herbst 1939 setzte sie die Produktion unter dem bisherigen Vorstand fort. Die Direktion beschäftigte von den Deutschen gesuchte Mitglieder des Widerstandes, indem sie ihnen gefälschte Dokumente ausstellte. Zudem unterstützte sie polnische Künstler und Schauspieler. Durch eine Mauer der Brauerei, die an das jüdische Ghetto grenzte, wurden Lebensmittel und Material geschmuggelt. 1943 betrug der Nettogewinn der Vereinigten Brauereien trotz des Krieges 2,5 Millionen Złoty. Im Oktober desselben Jahres wurden der Direktor Aleksander Schiele und sein 19-jähriger Sohn Jerzy verhaftet und im Pawiak-Gefängnis inhaftiert. Nach äußerst brutalen Verhören wurde der Vater freigelassen. Jerzy hingegen konnte die Gestapo nachweisen, dass er in der Heimatarmee aktiv war und wurde auf persönliche Anordnung Heinrich Himmlers hin erschossen.
Während des Warschauer Aufstandes 1944 bezogen Einheiten der Heimatarmee sowie die Zivilbevölkerung Essen aus den Depots der Brauerei, vor allem Gerste und Zucker. Nach dem Krieg baute der Architekt Aleksander Schiele (1890–1976), Mitglied des Vorkriegsvorstandes, die zerstörte Brauerei in der Grzybowska-Straße 1946 teilweise wieder auf. Die Verstaatlichung erfolgte am 28. April 1949, die Brauerei erreichte niemals wieder die Blüte der Vorkriegszeit. Aleksander Schiele wurde Verwaltungsdirektor und war der einzige ehemalige Eigentümer einer derart großen Firma in der polnischen Hauptstadt, der nach 1945 wieder im eigenen Unternehmen arbeiten durfte. Schiele war 39 Jahre lang in der Brauerei tätig. Als Architekt beteiligte er sich zudem am Wiederaufbau von Baudenkmälern in der Altstadt, z.B. des Palais Blank am Theaterplatz.
In den 1990er Jahren wurde die Brauerei im Zuge der Privatisierung von einem österreichischen Bierkonzern übernommen, der die Bierproduktion nach Warka verlagerte und das Betriebsgelände an ein spanisches Bauunternehmen verkaufte. Eine industrielle Bierproduktion gibt es heute in Warschau nicht mehr. (TWŚ)